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Die neue Wutkultur

Computertastatur mit der Aufschrift EmpörungIm Netz entstehen Filterblasen, in denen Kommentatoren oft jegliche Hemmungen verlieren. Foto: Picture Alliance

Freiburger Politiker äußern sich besorgt über wachsende Aggressionen im öffentlichen politischen Diskurs

Eine neue,  wütende Empörungskultur bringt eine Entwicklung hervor, der die Demokratie beschädigt: Politiker, Journalisten und Staatsdiener werden auf verächtliche Weise angepöbelt und lächerlich gemacht. Jüngst in Freiburg bekam das auch Bundeskanzler Olaf Scholz zu spüren.

Dass Debatten, auch wenn sie hart geführt werden, zur Demokratie gehören, steht außer Frage.  Wenn dem Kanzler auf Plakaten, wie in Freiburg gesehen, ein unflätiges „Olaf verpiss dich“ entgegengehalten  beziehungsweise seine Rede zum Stadtteil Dietenbach von schrillen Störgeräuschen begleitet wird, wirkt das hingegen nur noch destruktiv. Auch Beiträge zum Kanzlerbesuch in den Sozialen Netzwerken gingen in einem regelrechten Shitstorm gegen Regierung und Medien im Allgemeinen unter.

Krisenhafte Zuspitzung der Realität

Michael Wehner, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung in Freiburg, sagt, wir lebten derzeit in einer Empörungsdemokratie,  die darin fuße, dass viele Menschen durch die krisenhafte Zuspitzung der Realität verunsichert seien, was sich oft in sehr scharfem Ton ausdrücke. „Eine wachsende Zahl an Bürgerinnen und Bürgern glaubt, dass es legitim sei, nicht nur verbal-radikal, sondern auch körperlich-physisch radikal aufzutreten“, so Wehner.

Befeuert werde die Wut durch Filterblasen in den Sozialen Medien. „Gerade auch lokale Politiker erleben über Facebook und Co. regelmäßig Shitstorms“, so der Politikwissenschaftler. Die Anonymität des Netzes setze die Hemmschwelle, verbal aggressiv auszuteilen, sehr niedrig.

 Jedoch habe sich auch in der realen Welt etwas verschoben: „Die Art und Weise wie das Amt des Bundeskanzlers diskreditiert wird, wie zuletzt in Freiburg, als jedes Wort  durch eine lärmende Heulboje gestört wurde, hat eine neue  Niveaulosigkeit erreicht. Aus meiner Sicht ist so ein Verhalten völlig daneben, weil es letztlich zu einer Verächtlichmachung der demokratischen Institutionen führt“, betont Wehner.

Südbadens scheidende Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer zeigte sich  in einem Gespräch mit Journalisten  über das aufgeheizte Klima sehr besorgt. Im Regierungsbezirk habe es in jüngster Zeit sogar Vor-Ort-Termine gegeben, die abgesagt werden mussten, weil Sorge um die Sicherheit der Mitarbeiter bestand.

 Auch Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn nimmt die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas wahr: „Wir erleben seit einigen Jahren, wie die Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft zunimmt. Und das sickert durch, ich nehme es durchaus so wahr, dass der Ton immer wieder mal schärfer wird und mancher nicht mehr an einem Dialog interessiert ist. Leider bis hin zu Bedrohungen, so hatten wir gerade wieder  eine unschöne Szene bei uns privat zuhause. Das geht einfach gar nicht!“

Gleichzeitig wendet sich Horn gegen pauschales Schwarzmalen: „Die meisten Menschen denen ich begegne, suchen weiter einen konstruktiven und respektvollen Austausch. Hart in der Sache, fair im Ton – so wünsche ich mir den Diskurs“, so Horn. Politik dürfe nicht aufhören, mit den Menschen direkt ins Gespräch zu kommen, zuzuhören und Gedanken sowie Lösungen verständlich und nachvollziehbar zu kommunizieren. „Die große Mehrheit will den Dialog und miteinander um die besten Lösungen ringen – das werden uns die, die laut schreien, nicht nehmen“, betont der Oberbürgermeister.