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Der entfesselte Internet-Mob – wie gezielt schlechte Stimmung erzeugt werden soll

Empörungslawinen im Netz nehmen zu und richten sich oft gegen Stadt und Institutionen. „Vieles wird strategisch aufgebauscht“, sagt Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn. Foto: picture alliance

Auf Social Media zeigt sich Deutschland wütend. Das ist in Freiburg nicht anders als im Rest der Republik. Egal, ob es sich um eine neue Rolltreppe in Regenbogen-Optik handelt, die Eröffnung eines Spielplatzes im Colombipark, neue Windräder oder die Ausweitung von Tempo-30-Zonen – bei der Debatte dominieren die schrill-destruktiven Stimmen, die alles schlecht reden. Was tun?

In einem Gespräch mit Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos), der als sehr Social-Media-affin gilt, berichtet er: „Wir nehmen leider sehr stark wahr, dass die lauten und destruktiven Stimmen immer mehr werden. Ich sehe auch, dass zunehmend bewusst mit Desinformation und Überemotionalisierung gearbeitet wird. Viel wirkt für mich dabei so, als würde es orchestriert, um gezielt Stimmung zu machen und zu hetzen.“ Und weiter: „Natürlich gibt es in Deutschland begründete Sorgen und Themen, die man ansprechen muss und kritisieren darf. Aber vieles wird strategisch aufgebauscht, konstruiert oder gelogen.“

Empörende Sprache und Verhalten werden bei Facebook und Co mit mehr Likes und Shares belohnt als beschwichtigende Posts oder Gegenrede. Freiburgs Oberbürgermeister ist jedoch davon überzeugt, dass die große Mehrheit im Netz nur still mitliest. „Es gibt viel zu wenig Gegenkommentare. Das halte ich für gefährlich, da so ein verzerrtes Bild entsteht. Und die konstruierte Stimmung abfärbt“, sagt Horn.

Polarisierung als Treibstoff

In der Fachsprache spricht man von „Rage Bait“, womit im Netz gezielt Wut oder Empörung provoziert werden soll. Der Freiburger Politikwissenschaftler Michael Wehner sieht in der wütenden Empörungskultur ein Symptom der Radikalisierung an den politischen Rändern. Es gehe darum, bestimmte Reizthemen zu setzen und damit den Diskurs in eine bestimmte Richtung zu lenken. Polarisierung seien Ziel und Treibstoff zugleich.

Dass das allgemeine Empörungslevel und die Dünnhäutigkeit zunehmen würden, hänge laut Wehner zudem mit der fortschreitenden Kultur der Individualisierung in unserer Gesellschaft zusammen. Das Motto: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Gleichzeitig nähme Solidarität stetig ab, weil die Bindungskraft von Institutionen wie Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Vereinen, aber auch Schulen abnähme.

Auch Martin Horn hat sich Gedanken über die Gründe gemacht und erklärt: „Ich persönlich denke, dass ein Teil der Gereiztheit in Deutschland hausgemacht ist. Hier wird viel zu viel über Probleme und scheinbare Dysfunktionalität gesprochen – und zu wenig über echte Lösungen.“ Er appelliert: „Wir dürfen nicht auf die schrillen Töne hören. Und vor allem dürfen wir nicht anfangen, sie zu glauben, nur weil sie laut sind und ständig wiederholt werden. Das muss uns klar sein und wir dürfen uns dabei nicht von gefälschter negativer Stimmung lähmen lassen.“

Michael Wehner erklärt, Politiker sollten den Mut aufbringen, unbequeme Botschaften zu vermitteln. Politik sei ein Aushandlungsprozess und kein Wunschkonzert – das müsse deutlich gemacht werden. „Da liegt es in der Natur, dass nicht jeder zufriedengestellt werden kann“, so der Leiter der Freiburger Außenstelle der Landeszentrale für Politische Bildung. Gleichzeitig sei es notwendig, sich selbst einzubringen, denn sonst wackele die Demokratie. Ebenfalls sei es wichtig, eine positive Zukunftsvision zu proklamieren, die die Leute mitnimmt.

Die Wutbürgerstimmung macht sich indes nicht nur im Netz bemerkbar, sondern auch im realen Leben: Bei einer Vor-Ort-Veranstaltung des Rathauses im Rieselfeld gab es vor einiger Zeit eine gezielte Störaktion. Dabei ging es nicht um Diskussion, sondern nur um pure Provokation, wie Anwesende bestätigen. Am Ende musste die Polizei den Störenden abführen. „Auch wenn es ähnliche Vorfälle vereinzelt gibt, sprechen wir glücklicherweise über unschöne Einzelfälle. Davon
sollten wir uns nicht einschüchtern lassen“, sagt Horn.