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Trump und Europa: „Grundpfeiler geraten ins Wanken“

Präsident Donald Trump (hier bei einer Kabinettssitzung) wirft den Europäern immer wieder vor, die USA „abzuzocken“. FOTO: DPA

In seinem Buch „Big Brother Gone“ beschreibt der renommierte Politikwissenschaftler Marco Overhaus die Krise der amerikanischen Demokratie und zeigt, warum Europa selbst für seine Sicherheit
sorgen muss. Am 3. Juni ist er Gast bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion in Freiburg. Vorab sprach Wochenbericht-Redaktionsleiter Sven Meyer mit ihm.

Herr Overhaus, die liberal-demokratischen Werte stehen in den USA unter Beschuss: Universitäten werden angegriffen, das Recht wird attackiert, langjährige Partner werden öffentlich bloßgestellt. Wie konnte all das passieren?

Marco Overhaus: Die US-Demokratie steckt in einer Krise. Und die Erosion demokratischer Institutionen hat sich schon länger abgezeichnet, deutlich länger als seit dem erneuten Amtsantritt von Donald Trump. Das zeigt sich beispielsweise in der Anmaßung präsidentieller Macht oder dass sich die politischen Lager gegenseitig vorwerfen, die amerikanische Justiz als Waffe zu missbrauchen. Überhaupt ist der Liberalismus in den USA schon länger unter Druck, wie etwa bei der Einschränkung von Bürgerrechten. Hinzu kommt, dass der Glaube an die Verbesserungsfähigkeit von Institutionen sowie auch der Glaube an die Wissenschaft erodiert. All das hat letztendlich den Boden bereitet für Trump, dass er jetzt diese
radikalen Schritte vollziehen kann.


Wie verändert sich denn das Bild der USA in Europa gerade?

Overhaus: Das USA-Bild in Deutschland verändert sich auf jeden Fall unter dem Eindruck der zweiten Trump-Präsidentschaft. Ich habe in meinem Buch „Big Brother Gone“ verschiedene Assoziationen aufgezählt, die man mit dem „großen Bruder“ haben kann. In der Vergangenheit hat zumindest im deutschen Regierungsapparat eher das positive Bild dominiert: Amerika als der große, starke Bruder im Kreis der liberalen Demokratien. Aber das hat sich in den ersten vier Monaten unter Trump stark verändert. Die skeptische Sicht auf die USA dominiert, wenngleich die neue Bundesregierung weiterhin sehr transatlantisch eingestellt ist. Aber die Frage ist, was steckt dahinter? Ist es der Versuch, jetzt nur nicht den offenen Bruch zu provozieren, um Zeit zu gewinnen, sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen? Oder ist es doch die Annahme, dass es in Amerika so schlimm dann doch nicht kommt?


Noch aber sind die USA die Schutzmacht. Doch es bröckelt.

Overhaus: Die Verbindungen zu Amerika – sicherheitspolitisch wie auch wirtschaftlich – sind weiterhin essenziell. Aber die Risse werden größer. Der Protektionismus hat zugenommen. Gleichzeitig sind die liberal-demokratischen Grundlagen der amerikanischen Sicherheits- und Außenpolitik brüchiger geworden. Somit geraten auch die Grundpfeiler des NATO-Bündnisses ins Wanken.

Das heißt, Sie sehen das NATO-Bündnis in ernsthafter Gefahr?

Overhaus: Also wenn Russland einen NATO-Staat angreifen sollte – wahrscheinlich wäre das eines der baltischen Länder – und die USA würden darauf nicht reagieren, dann wäre das sicherlich das Ende der NATO. Das ist aus heutiger Sicht aber sicherlich der Worst Case. Ich denke, man muss sich zumindest darauf vorbereiten. Einfach, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein.


Ist denn Europa durch den zweiten Trump-Schock endlich aus seinem Tiefschlaf aufgewacht?

Overhaus: Ja und nein – man ist zwar aus dem Tiefschlaf aufgewacht, schlummert aber immer noch. Der politische Druck ist da. Das hat ja dazu geführt, dass es jetzt viel mehr Bereitschaft und Willen gibt, Geld zu mobilisieren für Sicherheit und Verteidigung. Die Rede ist von bis zu 800 Milliarden Euro auf EU-Ebene insgesamt. Es gibt auch verstärkte Anstrengungen, mehr zu einer gemeinsamen europäischen
Rüstung zu kommen,. Was bislang aber noch fehlt, in Deutschland und natürlich in anderen europäischen Ländern, ist einerseits die gesellschaftliche Akzeptanz dafür, dass das notwendig ist und der politische Wille, wirklich eigenständig Verantwortung zu übernehmen. Das kann sich aber möglicherweise noch
entwickeln. Im Idealfall haben wir jetzt noch ein paar Jahre, um unsere Beziehungen zu Amerika grundlegend neu zu gestalten. In der Vergangenheit – insbesondere während der Präsidentschaft von Joe Biden – haben wir zu viel Zeit verplempert. Es wäre besser gewesen, wenn es gar nicht erst der Krise bedürft hätte, um diesen Handlungsdruck zu erkennen. Unter Druck zu handeln ist immer schlechter.

Welches sicherheitspolitische Szenario sehen Sie in Europa für die nächsten 10 bis 20 Jahre?

Overhaus: Es gibt zwei sicherheitspolitische Szenarien für Europa: Das positive wäre, dass tatsächlich große Schritte in Richtung einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gelingen. In den EU-Verträgen ist ja auch schon das perspektivische Ziel einer europäischen Verteidigungsunion angelegt. Das bedeutet im Idealfall eine Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO, wodurch die transatlantischen Beziehungen dauerhaft strukturell umgebaut würden. Das negative Szenario wäre, Europa verfiele eben doch wieder in Kleinstaaterei. In diesem Szenario würde der Rückzug der USA Europa spalten, was wir auch schon während der ersten Trump-Administration beobachten konnten. Wir Europäer würden dann letztendlich zerrieben zwischen Großmächten wie China, Indien und Russland.

Wie könnten neue Grundlagen für die transatlantische Beziehung aussehen?

Overhaus: Ich denke, man muss drei Dinge hinterfragen. Erstens, es ist nicht mehr notwendigerweise im wohlverstandenen Eigeninteresse Amerikas, sich dauerhaft politisch, wirtschaftlich, sicherheitspolitisch in Europa zu engagieren. Zweitens ist die sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA kein Naturgesetz. Mit politischem Willen ließe sich das ändern. Und drittens dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, dass wir das transatlantische Verhältnis einfach dadurch stabilisieren können, dass wir Washington einfach nur einen „besseren Deal“ anbieten. Zum Beispiel mehr Fracking-Gas kaufen und dann ist wieder alles in Ordnung. Das wird nicht mehr der Fall sein.


Könnte sich der US-Rechtspopulismus noch weiter radikalisieren?

Overhaus: Das wird auch von den Gegenbewegungen abhängen. Ob es vielleicht vielen Amerikanern doch zu bunt wird und sie sich gegen die Aushöhlung ihrer Demokratie wehren. Am Ende des Tages handelt Trump und ich würde sagen, ein Stück weit auch Vance, opportunistisch, man will ja weiterhin Wahlen gewinnen. Solange es eben auch noch kompetitive Wahlen gibt, schaut man schon darauf, was ankommt und was nicht. Und das hängt auch von der Entwicklung der weiteren wirtschaftlichen Lage ab. Wonach sich die Bürgerinnen und Bürger wirklich sehnen, ist wirtschaftliche Sicherheit und das Gefühl, dass sich die Dinge verbessern. Am Ende wird die entscheidende Frage sein, ob die Trump-Wähler zu dem Schluss kommen, dass ihr Präsident geliefert hat oder nicht.

Info: „Sicherheit ohne die USA?“ – Podiumsdiskussion mit Dr. Markus Kaim, Bundesministerium für Finanzen und Dr. Marco Overhaus, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin & N.N.. Im Rahmen der Reihe „Kippmoment: Europa und die USA“ am Dienstag, den 03, Juni um 19 Uhr im KG I der Universität Freiburg | Hörsaal 1098.
Buchtipp: Marco Overhaus: Big Brother Gone – Europa und das Ende der Pax Americana. 2025 (Frankfurter Allgemeine Buch). 256 Seiten. 24 Euro.