„Noch einiges an Anstrengung nötig“
Die Gretchenfrage zum Weltfrauentag lautet: Wie hälts Du’s eigentlich mit der Gleichstellung?
Heute ist Weltfrauentag – ein Grund, das Erreichte zu feiern oder eher, um vorhandene Probleme zu benennen? Ein Blick in die Stadt und über ihre Grenzen hinaus zeigt: Ein bisschen von beidem.Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Eine deutliche Mehrheit von 62 Prozent der Deutschen findet, dass derzeit eine Ungleichheit zwischen Frauen und Männern in Bezug auf soziale, politische und wirtschaftliche Rechte besteht. Allerdings sagen weitere 46 Prozent, dass in Deutschland hinsichtlich der Gleichstellung von Männern und Frauen schon genug getan wurde – ein Anstieg von 16 Prozentpunkten im Vergleich zur Studie aus dem Jahr 2019. Das zeigen die Ergebnisse einer weltweiten Studie anlässlich des Weltfrauentages, die vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut Ipsos in Zusammenarbeit mit dem King’s College London durchgeführt wurde.
Die Freiburger Frauenbeauftragte Simone Thomas sieht noch Handlungsbedarf: „Der Internationale Frauentag ist ein Tag der Mahnung. Noch immer werden Frauen weltweit von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen, erfahren Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung. Kriege und Krisensituationen verschlechtern die Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen auf drastische Weise.“
Doch auch in den eigenen vier Wänden seien viele Frauen nicht sicher. Der gefährlichste Ort für eine Frau ist statistisch gesehen noch immer ihr Zuhause. Im Jahr 2021 gab es in Deutschland mehr als 143.000 Opfer von häuslicher Gewalt; 80 Prozent davon waren Frauen. Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache, auch wenn sie häufig hinter verschlossenen Türen passiert.
Bei allen Problemen will der Weltfrauentag aber auch das bisher Erreichte würdigen. Dazu finden in Freiburg ab heute bis zum 17. März vielfältige Aktionen statt (siehe Infokasten). Doch trotz vieler Anlässe zu feiern ist auch Vorsicht geboten: Für Alexandra Schoen, Managerin in der Politik- und Sozialforschung bei Ipsos, ist die Geschlechtergleichstellung für einen Teil der Bevölkerung zu einem abgehobenen Thema geworden, das lediglich die Politik betrifft: „Dabei zeigt unter anderem der europäische Gleichstellungsindex deutlich, dass von jedem von uns noch einiges an Anstrengung nötig ist, damit Gleichberechtigung endlich zur gelebten Wirklichkeit wird. Da kommt der Weltfrauentag gerade richtig, um das Thema wieder auf die persönliche Agenda zu bringen.“
Sichtbar machen wollen sich heute auch die Frauen im Öffentlichen Dienst. Die Gewerkschaft Verdi hat anlässlich des Weltfrauentages zum Warnstreik gerufen: Dadurch wird es an diesem Tag zu Einschränkungen bei Öffentlichen Dienstleistungen in den Kitas, der Sozialverwaltung, den sozialen Diensten, Jugendzentren, der Verkehrsüberwachung und beim Bürgerservice kommen. Der Warnstreiktag von Verdi ist laut Patricia Marcolini notwendig, um auf die stockenden Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst hinzuweisen. „Es sind häufig Frauen, die mit ihrer Arbeit und ihren verlässlichen Dienstleistungen unseren Alltag ermöglichen. Heute ist der Frauenstreiktag, um endlich diese Arbeit zu wertschätzen und gerechte Löhne durchzusetzen.“
Eine, die das Thema Gleichstellung in ihrem privaten Alltag ganz selbstverständlich lebt, ist Anna Strecker (22), die bei den Maltesern in Freiburg eine Ausbildung zur Notfallsanitäterin macht, einem eher „klassischen“ Männerberuf. Während der Anteil der Frauen in den pflegenden Berufen traditionell hoch ist (2020 lag er bei mehr als 80 Prozent), stellten sie beim Rettungsdienst laut dem Statistischem Landesamt Baden-Württemberg nur rund ein Drittel. Erklären kann sich das Anna Strecker nicht, sie bemerkt in ihrem Alltag nichts von der angeblichen „Männerdomäne“. Einschränkungen aufgrund ihres Geschlechts erlebt sie keine, auch wenn sie manchmal an ihre körperlichen Grenzen kommt: „Zum Beispiel wenn wir einen Patienten die Treppe hinuntertragen müssen“, aber: „da kommen meine männlichen Kollegen ebenfalls an ihre Grenzen.“ Und auch, wenn sie zu einem Unfalleinsatz gerufen wird, behält sie die Nerven. Generell findet Strecker, dass die Eignung für bestimmte Berufe nicht am Geschlecht festzumachen ist: „Entweder man kommt als Person mit den Anforderungen klar, oder eben nicht, das Geschlecht spielt da eher weniger eine Rolle“, findet sie.
Claudia Kleinhans